Der Jazz war immer in Bewegung und er wird es hoffentlich auch bleiben. Für sein Publikum allerdings gilt das nicht unbedingt, könnte man sarkastisch ergänzen. Vor allem Jazzpuristen vertreten jedenfalls die Auffassung, dass sich die von der Musik ausgehenden Impulse allenfalls auf die Nackenmuskulatur oder einzelne Finger und Füße übertragen sollten. Aber zum Jazz tanzen? Bewahre!
Andererseits wurde das Deutsche Jazzfestival schon in den 50er-Jahren mit einem Jazzband-Ball beschlossen, der genau diesem Zweck diente. Man wählte dazu im Palmengarten-Gesellschaftshaus ausdrücklich geeignete Spielformen, damals Swing und New Orleans Jazz. Heute sind es vielleicht eher Broken Beats, die dem Publikum Beine machen, aber nach wie vor verstehen es Jazzmusiker*innen, Tanzbarkeit mit musikalischer Klasse zu verbinden.
Zuhören allein lohnt sich darum genauso wie tänzerisches Mittun. Der hr-Sendesaal wird an diesem Abend so umgestaltet, dass beide Formen des Musikgenusses zu ihrem Recht kommen.
Moses Yoofee Trio
Das Trio um den Berliner Tastenvirtuosen und Produzenten Moses Yoofee ist eine der angesagtesten deutschen Bands, mit Auftritten in ganz Europa und in den USA, etwa beim legendären Newport Jazzfestival. Seit ihrer Gründung im Jahr 2020, der ersten EP „Ocean“ drei Jahre später und dem Deutschen Jazzpreis als bester Live-Act 2024 geht es für die drei ziemlich steil aufwärts. Dabei ging es zunächst nur darum, gemeinsam Spaß zu haben.
Bassist Roman Klobe und Moses Yoofee trafen sich zufällig bei einer Session an einer Berliner Musikschule und „konnten nicht mehr aufhören“. Den Münchner Schlagzeuger Noah Fürbringer entdeckten sie durch seinen Instagram-Channel und luden ihn nach Berlin ein. Während der Pandemie jammten die drei wöchentlich zusammen und fanden so zu ihrem Sound und einem Workflow, bei dem Gruppenimprovisation und Kompositionen aller Musiker eine gleichberechtigte Rolle spielen. „Uns ist es wichtig, klarzustellen, dass wir alles zusammen machen“, sagt Yoofee im Interview, „es gibt keinen Bandleader. Wir könnten genauso Roman Klobe Trio oder Noah Fürbringer Trio heißen.“
Gefragt nach ihren Einflüssen, nennen sie Namen wie Robert Glasper oder Kaidi Taitham, aber auch J Dilla und Acts wie Kamaal Williams und Alfa Mist. Ihr Trio-Sound fusioniert Jazz, Hip-Hop, Broken Beats und mehr zu einer energiegeladenen, virtuosen Mixtur. „Wenn du Jazzmusiker fragst, haben glaube ich die allermeisten Probleme damit, zu sagen, sie machen einfach Jazz“, gesteht Roman Klobe im Interview. „Wir sagen es einfach, weil wir müde vom Beschreiben sind“, ergänzt Moses Yoofee, worauf Klobe den Begriff „Instrumentalmusik“ vorschlägt. „Ich finde, dass Robert Glasper die Konsequenz von Herbie Hancock ist – und Herbie Hancock ist selbst eine Konsequenz.“
Yoofee, Klobe und Führbringer sind damit typisch für ihre Generation. Nicht dass sie kein Interesse an oder keinen Respekt vor den alten Meistern hätten. Yoofee hat während seiner Jazzstudien etwa eine Master Class bei der Bebop-Legende Barry Harris besucht. Aber er sagt auch, „natürlich kannst du dich hinsetzen und Geschichte auschecken, genauso wie du dich politisch weiterbilden kannst. Wenn du das möchtest und der Typ dafür bist. Aber ich würde es niemandem übel nehmen, Fan von Snarky Puppy zu sein, ohne zu wissen, wer Weather Report ist. Aus eigener Erfahrung.“
Die Beschäftigung mit der Geschichte kann schließlich auch lähmen. Und zwischen dem Produzieren oder Spielen für Pop-Acts wie Peter Fox oder Casper und dem Touren mit der eigenen Musik, bleibt sowieso nicht für alles Zeit. Viel wichtiger für Yoofee, Klobe und Führbringer ist, dass sie sich in ihren eigenen Live-Shows auf die Suche nach jenem magischen Moment in der Improvisation begeben, der jeden Abend zu einem besonderen Erlebnis macht. Und damit stehen sie ganz fest in der Jazztradition.
Mosef Yoofee Tasten
Roman Klobe-Baranga Bass
Noah Fürbringer Schlagzeug
hr-Bigband feat. Butcher Brown – Beats'n'Brass
"Wir sind sowas wie die südlichen Cousins der Leute in New York“, antwortet Schlagzeuger Corey Fonville auf die Frage, was die Musikszene von Richmond, Virginia so besonders macht. In der Hauptstadt des nördlichsten der amerikanischen Südstaaten führt die Begegnung von nördlicher Urbanität mit südlicher Tradition zu einer besonders bunten Kulturszene. Butcher Brown, vor 15 Jahren in Richmond gegründet, ist der Musik gewordene Ausdruck dieses Schmelztiegels.
Ohne Scheu vor Genre- oder Zeitgrenzen mischen die fünf Instrumentalisten Jazz, Funk, R&B, Hip-Hop und mehr zu einem groovenden Cocktail, der in die Beine geht. D’Angelo, Miles Davis, Return to Forever oder das Robert Glasper Experiment sind nur einige der Einflüsse, die Butcher Brown in ihrer Musik verarbeiten. In ihrem Youtube-Video aus der hoch renommierten Tiny-Desk-Serie von NPR agiert Trompeter und Saxofonist Marcus Tenney alias Tennishu z. B. auch als kompetenter Rapper und Sänger.
Bei der Konzeption ihrer Alben gehen die Bandmitglieder, die alle auch als Musikproduzenten tätig sind, zeitgemäß vor, indem sie z. B. wie Hip-Hop-DJs nach passenden Samples für den jeweiligen Song suchen. Diese „Samples“ spielen sie dann allerdings als Instrumentalisten live ein. So entstehen Klänge, die gelegentlich wie eine Zeitreise wirken: Als hätte ein Jazzclub der 1920er-Jahre Disco und House für sich entdeckt.
Der Blechturbo der hr-Bigband wird diesem ohnehin schon ansteckenden Klanggemisch zusätzliche Opulenz und weiteren Drive verschaffen. Darum wird vor der Bühne an diesem Abend Platz zum Tanzen geschaffen. Und natürlich geben wir der Jazzpolizei dienstfrei.
Tennishu Trompete Saxofon, Vocals
DJ Harrison Tasten
Morgan Burrs Guitar
Andrew Randazzo Bass
Corey Fonville Schlagzeug und Perkussion
Donna Leake DJ-Set
Wie könnte dieser besondere Abend stilvoller enden als mit einem DJ-Set in der Goldhalle? Und Donna Leake, die in London lebende junge Musikenthusiastin mit ihrem genreübergreifenden Geschmack, ist dafür eine ausgezeichnete Wahl.
Schon im Alter von neun oder zehn Jahren verließ sie das Haus nicht ohne ihren Discman und zusätzliche Batterien. Ihre erste Vinylplatte gewann sie eher zufällig bei einem Tanzwettbewerb im australischen Perth, wo sie aufwuchs. Später ging Leake in Londoner Secondhand-Plattenläden auf Entdeckungsreise, auch wenn sie sich zunächst maximal eine LP pro Besuch leisten konnte. Gelegentliche Radio-DJ-Sets in Vertretung für Freunde führten schließlich zu einer eigenen monatlichen Show bei NTS.
Der 2011 in Hackney gegründete unabhängige Sender, laut Guardian die „Neudefinition des Radios“, macht die Vielfalt zum Programm. Neugierige Hörer entdecken hier Musik, die nicht von Algorithmen, sondern Musikenthusiasten ausgesucht wird und zu etwa 40 Prozent auch gar nicht auf den Streamingplattformen verfügbar wäre, wie die New York Times schreibt.
Eine Radiostation wie gemacht für Donna Leake und ihr weltumspannendes Musikinteresse, das um Jazz, generell Perkussives, Dub, Reggae, lateinamerikanische Musik, traditionelle panafrikanische Sounds, Psychedelisches, östliche Traditionen, Bollywood und Soundtracks kreist, aber eigentlich grundsätzlich offen nach allen Seiten ist. „Ich bin jeden Tag auf der Suche nach neuen Erfahrungen mit Musik und bin ständig neuen Hörerlebnissen ausgesetzt“, sagt Leake im Interview.
Heute ist sie auch als Live-DJ weltweit gefragt. Was sie jeweils auflegt, hängt von vielen Dingen ab. Vor allem aber lässt sie sich auf den jeweiligen Ort und die jeweilige Stimmung ein und „fühlt“ sich dann durch das, was sie spielt, um sich und hoffentlich auch ihr Publikum auf eine Reise mitzunehmen.
Donna Leake Turntables